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Die Alpenrepublik als Reiseziel: Boom oder Balance?

In Österreich kommen auf einen Einheimischen 3,4 Touristen – zu viel, zu wenig oder genau richtig? Das und einiges mehr möchte die plus.punkt-Redaktion von Gerhard Hofer, Manfred Perterer und Rainer Schüller wissen, drei hochkarätige österreichische Journalisten, die beim diesjährigen HOGAST-Symposium am 15. und 16. Oktober in Salzburg die Frage „Gesellschaft & Tourismus – was kommt da auf uns zu?“ diskutieren werden.

Österreich ist Tourismus-Weltmeister, und die Gesellschaft wird immer reiselustiger. Mit diesen rosigen Aussichten kann sich die Branche nur selbst schaden, oder?

Gerhard Hofer: Die Branche hat mittlerweile erkannt, dass es nicht nur darum geht, den Gast zu überzeugen, sondern auch die Bevölkerung in der Region mitzunehmen und klarzumachen, dass der Tourismus nicht nur Belastungen in Form von Verkehr, Lärm oder steigenden Immobilienpreisen verursacht, sondern auch die Lebensqualität steigert, etwa durch mehr Freizeiteinrichtungen, Fachärzte und Arbeitsplätze.

Manfred Perterer: Diese Branche unterliegt nach wie vor hoher Volatilität. Nach diversen Hochs, wie auch in diesem Sommer, gibt es immer wieder Tiefs – Pandemie, Teuerung, Wetterkapriolen. Die gesamte Branche muss darauf achten, hohe Qualität zu bezahlbaren Preisen zu liefern.

Christian Schüller: Es ist erfreulich, dass Österreich die Corona-Flaute überstanden hat und der Tourismus wieder boomt. Es allein durch die rosige Brille zu betrachten, ist jedoch gefährlich, denn es gibt Faktoren, die die Aufwärtsbewegung gefährden. Der Tourismus ist ein wesentlicher Wirtschaftstreiber für Österreich, aber es gibt Herausforderungen.

Welche Herausforderungen und Chancen nehmen Sie wahr?

Gerhard Hofer: Eine große Herausforderung – wie in den meisten Branchen – ist die Demografie. Die Suche nach guten und loyalen Mitarbeitern wird schwieriger. Auch der Tourismus muss sich neue Modelle überlegen. „Es war immer so“ funktioniert nicht mehr. Der Klimawandel ist Herausforderung und Chance zugleich. Urlaub im Süden verliert bei extremen Hitzeperioden an Reiz, hier können die Alpen im Sommer punkten.

Manfred Perterer: Eine der größten Herausforderungen ist die Personalfrage. Die Attraktivität des Tourismus als Arbeitsplatz ist ausbaufähig. Mehr als 50 Prozent der Mitarbeiter kommen aus dem EU-Ausland oder Drittstaaten. Da muss an vielen Schrauben gedreht werden. Eine weitere Herausforderung ist, Stabilität bei den Preisen zu erzielen. Die Klimaentwicklung und das Phänomen des Übertourismus bleiben herausfordernd. Chancen sehe ich in der Qualitätssteigerung und der Attraktivierung des Sommers als Reisezeit.

Christian Schüller: Herausforderungen sehe ich in mehreren Bereichen: Geopolitisch bringt das Superwahljahr 2024 Unsicherheiten. Wie entwickeln sich der Ukraine-Krieg, die USA, die Nahostkrise, und was bedeutet das für die EU und Österreichs Wirtschaft? Die Teuerung bleibt ein Thema, da höhere Preise Gäste abschrecken könnten. Die Klimakrise bedroht bisher erfolgreiche Tourismusgebiete. Trockenheit, Schneemangel und Naturkatastrophen erfordern ein Umdenken. Chancen bieten sich im Inlandstourismus und in Regionen, die sich auf die Klimaveränderung einstellen.

Laut UN-Tourism wird Österreich 2023 unter den Top-Reisezielen auf Platz eins katapultiert, wenn man die 30,9 Mio. Gäste durch die 9,2 Mio. Einwohner teilt – die Rate liegt bei 3,4 Touristen pro Einwohner. Wie bewerten Sie diese Zahl?

Gerhard Hofer: Ich halte von solchen Zahlen nichts. Kaum eine andere Branche hantiert mit so vielen Zahlen wie der Tourismus. Sie sagen nichts über Qualität, Wertschöpfung, Kundenzufriedenheit oder Mitarbeiterzufriedenheit aus. In Wien und im Weinviertel spüre ich Tourismus lediglich in der Wiener Innenstadt. Eine Millionenstadt verkraftet den Ansturm besser als Hallstatt oder Salzburg.

Manfred Perterer: Solche Zahlen sind für das Publikum nicht greifbar. Anders sieht es aus, wenn man die Zahlen individuell pro Ort berechnet. Da sehen wir dann wahre Wunder, etwa in Hotspots wie Hallstatt oder Salzburg. An solchen Punkten muss es zu einer Regulierung kommen. Andere Gegenden könnten mehr Touristen vertragen oder sogar benötigen. Infrastrukturprojekte müssen daher individuell betrachtet werden. Eine neue Seilbahn kann in einem schlecht besuchten Ort Wunder wirken, an einem anderen aber Schaden anrichten.

Christian Schüller: Einerseits ist es eine tolle Leistung, andererseits droht die Gefahr des Übertourismus. Wer in Wien zur Hochsaison durch die Innenstadt spaziert, merkt, dass der Andrang zu stark wird, auch wenn die Akzeptanz hier noch hoch ist. Gästeströme sollten in stark frequentierten Hotspots entzerrt und gelenkt werden.

Welche Themen wurden aus Ihrer Sicht noch unzureichend diskutiert?

Gerhard Hofer: Der Charme des österreichischen Tourismus liegt auch in seiner Kleinteiligkeit. Weil viele davon profitieren, ist die Akzeptanz vergleichsweise hoch. In manchen Tourismusorten sind jedoch viele Hotels und Gaststätten längst in einer Hand. Macht sich allmählich auch im heimischen Tourismus eine „The winner takes it all“-Mentalität breit?

Manfred Perterer: Die segensreiche Entwicklung des Tourismus und seine Bedeutung für ganze Land- und Talschaften, die es heute ohne Gäste so nicht geben würde.

Christian Schüller: Ein entscheidendes Thema ist der Arbeitsmarkt. Wie schafft es Österreich, ausreichend Arbeitskräfte für den Tourismus zu gewinnen? Es gibt noch immer zu wenig gezielte Zuwanderung in diesem Bereich. Die Zahl der Lehrlinge hat sich in den letzten 15 Jahren halbiert. Die Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten müssen verbessert werden, um den Tourismusjob für den Nachwuchs attraktiver zu machen. Die Länder, die es schaffen, die Arbeitsmarktfrage zu lösen, werden im Tourismus die Gewinner sein.

Zu den Personen

Gerhard Hofer (Stellvertretender Chefredakteur „Die Presse“)
Gerhard Hofer arbeitet seit 1992 in verschiedenen Ressorts und hatte diverse Leitungsfunktionen inne. Er ist stellvertretender Chefredakteur der „Presse“ und prägt als Ressortleiter und Blattmacher das Erscheinungsbild der Zeitung. Zuvor war er unter anderem Ressortleiter der Wirtschaftsredaktion von „Die Presse“ und Chefredakteur des WirtschaftsBlatt.

Manfred Perterer (Chefredakteur „Salzburger Nachrichten“)
Manfred Perterer führt gemeinsam mit der engagierten Redaktion die „Salzburger Nachrichten“ als unabhängiges Qualitätsmedium fort. Die Zeitung versteht sich als Hintergrundmedium, das Wissen und Orientierung bietet. Perterer treibt die Digitalisierung der „Salzburger Nachrichten“ voran und fokussiert sich inhaltlich auf die österreichische Innen- und Wirtschaftspolitik, Europapolitik sowie gesellschafts- und sicherheitspolitische Themen.

Rainer Schüller (Stellvertretender Chefredakteur „Der Standard“)
Rainer Schüller hat Publizistik und Anglistik studiert und währenddessen für die Austria Presse Agentur und eine Lokalzeitung gearbeitet. Seit 2000 ist er bei derStandard.at tätig und war maßgeblich am Aufbau und der Entwicklung der Onlineausgabe beteiligt. In der Chefredaktion verantwortet er die Ressorts Innenpolitik, Chronik, Außenpolitik, Wirtschaft, Investigativ, das Newsteam und den Sport. Zudem ist er externer Lehrbeauftragter an der Universität Wien.

Text: Eva Pohn
Bild: iStock

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